Unheimliche Geschichten aus dem Wittelsbacher Land
(aus den Aufzeichnungen von J. Deinbeck, Haunswies)
Die Kinder singen und spielen:
„Ein alter Postalter mit 76 Jahren,
der wollte mit seinen sechs Schimmeln ins Himmelreich fahren.
Die Schimmel, die Schimmel, die waren so keck,
und warfen den alten Postalter in den Dreck.“
(Der Begriff Postalter ist dem Lateinischen entlehnt (post alter – nach einander) und erinnert an die heidnische wilde Jagd)
Auch die Reimform zeigt das hohe Alter des Kinderverses und drastischer könnte man die Absetzung der alten Gottheit in schriftdeutscher Sprache nicht ausdrücken. Der Name des alten Postalters spukt auch im Posteiberg auf der Staatsstraße von Aichach nach Rain. Es würde mich wundern, wenn nicht dort auch eine Schimmelsage bestehen sollte, wie ich sie vom Wessobrunner Berg kenne, dass in bestimmten Nächten sechs Schimmel, aus deren Nüstern Funken sprühen, mit einem feurigen Wagen im Galoppe den langen Berg emporrasen. Hat ja selbst Haunswies eine Schimmelsage, die ich kurz anführen will.
Die Sage aber lautet also: „Wenn Haunswieser Leute an Freitagen frühmorgens zum Wochenmarkt nach Augsburg fuhren, wurde schon häufig ein Reiter ohne Kopf gesehen. Leichenblass saß ein Bäuerlein auf dem Wagen, wenn es bemerken musste, dass der geisterhafte Schimmel seinen Kopf unter fortwährendem „Brt, brt!“ auf das Ende des nächtlichen Gefährts gelegt hatte. Unter Gebeten für die armen Seelen oder seine eigene arme Seele gelangte der Fuhrmann am Affinger Sommerkeller vorbei, wo am Waldrand der kopflose Reiter die Straße verließ, um seinen Weg gegen das Anwesen des Abdecker Bergmoser zu nehmen und bei zwei Straßenbäumen im Graben zu verschwinden. Ross und Reiter kamen gar nicht selten durch Haunswies selbst. Tagsdrauf konnte man noch auf der Wiesenstrecke zwischen „Lachamo“ und „Schustamo“ die Spuren deutlich verfolgen.
Der kopflose Schimmelreiter ist ein sprechendes Zeichen aus der Zeit der Christianisierung, dass Wotan seiner Bedeutung beraubt wurde, wie ja auch bei der Vertreibung der Römer, den Götzenstandbildern fast ausnahmslos die Köpfe abgeschlagen wurden.
Bestätigt wird die in Haunswies gebräuchlich gewesene Wotansverehrung durch zwei Erzählungen über die wilde Jagd, an deren Spitze bekanntlich der Schimmelreiter durch die Lüfte zieht.
Beim Gaßlbauern in Haunswies stand ein Unterknecht von Igenhausen im Dienst, der entsetzlich fluchte. Als sich nun eines Tages sogar eines Gottesfluches, fasste ihn Nachts das „wilde Gja“ und trug ihn durch die Lüfte. Kurz vor dem Hieslinger Weiher ließ es ihn jedoch fallen.
Der Gütler Johann Selig von Edenried soll beim Klee-Mähen ebenfalls von der wilden Jagd entführt worden sein, da er sich beim Herannahen des johlenden Zuges nicht auf den Boden geworfen hatte. Beim Gebetläuten kam er im Hl. Geist (Waldung der Heilig Geist-Spitalverwaltung in Aichach gehörig) unversehrt wieder auf den Erdboden.
Die wilde Jagd tobte besonders um den Seißenberg bei Haunswies, dessen Anklang an den griechischen Zeus augenfällig ist.
Bekannt ist auch die Holledauer Sage von dem Schimmel, der in die Kirche gerät und verhungert. Die Sage gibt uns als Wahrheit, dass Schimmel und Kapelle in einem Zusammenhang stehen und diese Schimmel-Kapellen, weil sie meist sehr abseits stehen, selten besucht werden, woraus sich wiederum der Schluss ergibt, dass die alten Bayern ihre liebgewordene Gottheit in einem entfernten Moosgrund oder eine Waldkapelle verehrten, um unangefochten den gewohnten Dienst fortzusetzen.
Auch bei Pöttmes soll eine solche Kapelle stehen. Die Leute wollen aber davon nichts wissen und der Fremde kann bei näherer Erkundung leicht dafür büßen. Daraus geht auch hervor, für die standhafte oder zähe Anhänglichkeit an die altväterliche Religion zog den Bauern die Neckerei seitens der Christen zu. Darum erfährt man auch nicht, wo die Holledau, das Land der Schimmelkirchen anfing und aufhört, bis man sie hinter sich hat.
Als einen Rest von Wotansverehrung betrachte ich auch den alten Brauch an die Stalltüren Hufeisen zu nageln, um das Vieh vor Hexen und bösen Geistern zu schützen.
Wahrscheinlich ist auch der „Stoajaga“ bei Aindling ein Nachfolger des „Wilden Jägers“.
Wotan war der Wetterherr wie Petrus heutzutage. Ein Beiname war auch Hroudprecht, der Ruhmstrahlende, welcher in der Christenzeit zum Knecht Ruprecht oder Ruepel herabgesetzt wurde und als Kinder schreckender Wauwau den hl. Nikolaus begleitet. Wenn der Klas kommt, so hört man Pfeifen und Peitschenknallen wie bei der wilden Jagd.
Zu Oberstimm bei Neuburg und auch in Keferloh bei München ist beim Fohlenmarkt herkömmlich einen Ruepel zu machen und wer ihn 40 Jahre besucht, wird gescheit.
Vor allem stand Wotan als Berchthold oder Barthold in Ehren. Im Volksmund heißt er Bartl und dies gab Anlass, bei der Einführung des Christentums ihn als Saubartl zu beschimpfen. Heute noch ist in der Steiermark Bartel ein Poltergeist.
Wir lernen unter der Benennung Bartel den Germanengott als Herrn der Ernte kennen, wie er zur Abrechnung ins Haberfeld reitet, wo Halme für seinen Schimmel stehen blieben. Bartel ist folgerichtig der Schutzpatron der Drescher. Noch erhält sich der Schweizer Spruch: Geht man an einem Tennenboden vorbei, so errät am leicht die Zahl der Arbeiter aus dem Drischelschlag. Sind ihrer zwei, so lautet es: Bartol, Bartol – bei dreien Bartolo – bei vier: Bartolomä – bei fünf endlich: Bartolomäus.
An den alten Weingott erinnert das Sprichwort: „Der weiß, wo der Bartel den Most holt.“ - Der Schimmelreiter zieht an der Spitze der wilden Jagd in der Bartolomäusnacht aus. Der Bartolomäusmarkt in Aichach lässt Vergleiche mit dem Bartolomäusmarkt in Landhut zu, wobei noch Nachts ein Reiter durch die Stadt fliegt, dass die Funken aufstieben. In Aichach ist es der Namen selbst, der den Ursprung an Wotan weist, denn die Eichenhaine waren besonders Wotan geweiht und der Haunswieser Schimmelreiter kommt dort hervor, wo der Flurname Eichfeld endet.