Geschichten
aus dem Wittelsbacher Land
Heute
mute ich euch wieder harten Tobak zu, es gibt viel zu
lesen. Zahlreiche Knechte und Mägde in den bayrischen Dörfern waren mit
ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden und suchten sich neue Bauern,
bei denen sie sich verdingten oder gingen in die Stadt, wo sie auf
ein besseres Leben und ein bessere Bezahlung hofften. Den Machthabern
war dies ein Dorn im Auge, da sie dadurch Schwierigkeiten in der
Lebensmittelversorgung befürchteten. Wie in ganz Bayern, so gingen
sie auch im Wittelsbacher Land mit brachialen Mitteln dagegen vor,
wie gegen die Schmiedhofers in Griesbeckerzell und Thalhof bei
Hilgertshausen. Interessant dabei ist auch, dass die Politische Polizei weniger hart mit den Dienstboten umgehen wollte, als es die Verwaltung in Aichach letztendlich durchsetzte.
„Bei
der Anwendung der Schutzhaft gingen die unteren Behörden der Inneren
Verwaltung und die Politische Polizei durchaus von verschiedenen
Vorstellungen aus. In den anschließend ausführlicher geschilderten
Fällen aus dem Bezirk Aichach benutzte, auf eine kurze Formel
gebracht, das Bezirksamt die Schutzhaft als willkommenes
Disziplinierungsmittel gegenüber unbotmäßigen und unbequemen
Angehörigen der dörflichen sozialen Unterschicht, während die
Politische Polizei sie als Instrument zur Durchsetzung des autoritär
verordneten Arbeitsfriedens auch gegenüber bäuerlichen Arbeitgebern
verstand.
Vom
Vorstand des Aichacher Bezirksamts wurde am 2. April 1936 über die
landwirtschaftliche Dienstmagd Maria Schmidhofer und deren Tochter
Katharina, beide auf demselben Hof bedienstet,
jeweils eine 15-tägige Schutzhaft verhängt. Die Maßnahme gegen die
Tochter wurde folgendermaßen begründet: „Katharina
Schmidhofer hat ohne triftigen Grund eigenmächtig ihre Stelle bei
dem Bauern und Gastwirt Reischel in Griesbäckerzell verlassen und
hierbei durch Geschrei und Gejohle derartigen Lärm in der ganzen
Ortschaft gemacht, daß ein Großteil der Ortseinwohner sich darüber
aufgehalten hat. Außerdem versucht sie, sich der Unterhaltspflicht
ihrem außerehelichen Kind gegenüber zu entziehen. Katharina
Schmidhofer ist eine amtsbekannte Person; ihren zu Niederschrift
gegebenen Aussagen kann ein Glaube nicht beigemessen werden."
Die
Vorwürfe gegen die Mutter bezogen sich außer auf Vertragsbruch noch
auf eine Äußerung, die sie anläßlich einer Rundfunkrede Hitlers
gemacht haben soll: „Der
kann mich am Arsch lecken, der hat mir noch nichts gegeben!" Bei
ihrer polizeilichen Einvernahme erklärte die Mutter: „Ich war bei
Reischel in Griesbäckerzell als Schweizerin (Melkerin, Stallarbeit)
eingestellt, wurde aber ständig auch für Feldarbeiten usw.
verwendet. Dies war mir zu viel, und deswegen erklärte ich dem
Reischel, daß ich die Stelle aufgeben werde. Nachdem er damit
einverstanden war, habe ich durch Anzeige in der ,Aichacher Zeitung'
eine andere Stelle zu finden gesucht. Ich bekam viele Angebote und
ein Bauer telefonierte auch; Reischel war bei dem Telefongespräch
selbst dabei. Es ist also nicht richtig, daß wir dort entlaufen
sind, sondern Reischel hat dies genau gewußt." Außerdem sei
sie bei einer Auseinandersetzung auf dem Hof mit Schlägen bedroht
worden. Zu den weiteren Vorwürfen gab sie zu Protokoll: „Die
fragliche Äußerung habe ich
nicht gebraucht. Ich habe lediglich auf die Aufforderung hin, doch
auch zuzuhören, etwa geäußert, was geht mich das an, was da der
Hitler spricht, was ich gar nicht verstehe. Darauf verließ ich die
Stube, in die wir ja sonst auch nicht gehen durften."
Die
gleichfalls vorgeführte Tochter gab an: „Ich
habe die Stelle verlassen, weil ich mit dem Essen nicht zufrieden
war. Es hat öfters nichts Warmes gegeben, und teilweise war das
Essen bereits verdorben, das wir vorgestellt erhielten; außerdem
wurde auf die Nacht das Essen immer wieder zusammengeschüttet und
aufgewärmt. Ich sagte deshalb zu Reischel, daß ich in 14 Tagen
gehen werde, wenn das Essen nicht besser würde, worauf dieser
antwortete: Du kannst auch gleich gehen! Außerdem habe ich mich
geärgert, daß Reischel mir nichts davon gesagt hat, daß ich für
mein außereheliches Kind von meinem Lohn monatlich 7.- RM zu zahlen
habe." Katharina Schmidhofer war bereits im November1934 vom
Bezirksamt verpflichtet worden, für den Unterhalt ihres Kindes
diesen Betrag an den Bezirksfürsorgeverband zu entrichten.
Offensichtlich war für die Verhängung der Schutzhaft nicht allein
der angenommene Vertragsbruch ausschlaggebend, sondern gleichfalls
der Umstand, daß diese Personen, die in den Schutzhaftbefehlen als
„Asoziale"
bezeichnet wurden, die kommunale Fürsorge belasteten. Der
Schutzhaftbefehl gegen die Mutter Schmidhofer wurde von der
Politischen Polizei umgehend bestätigt. Ein gegen sie vor dem
Sondergericht München eingeleitetes Verfahren wurde aber von der
Anklagebehörde aufgrund eines Amnestieerlasses eingestellt.Den
Schutzhaftbefehl gegen die Tochter wollte die Politische Polizei
nicht bestätigen, sondern empfahl die Einweisung in die
Arbeitsabteilung der staatlichen Fürsorgeanstalt Traunstein mit dem
generellen Hinweis, daß die Unterbringung in einer Arbeitsanstalt
möglich sei, „wenn solche Personen infolge ihres sittlichen
Verschuldens sich selbst oder einen Unterhaltsberechtigten der
naheliegenden Gefahr aussetzen, der öffentlichen Fürsorge
anheimzufallen". Zusätzlich verlangte die Politische Polizei,
„hinsichtlich der Behandlung der Dienstboten durch den Bauern und
Gastwirt Reischel in Griesbäckerzell im allgemeinen vertrauliche
polizeiliche Erhebungen anzustellen und gegebenenfalls Zeugen
einzuvernehmen. ... Wenn auch die Bauern im Interesse der
Erzeugungsschlacht gegen das Davonlaufen der Dienstboten im
allgemeinen staatlichen Schutz genießen, so darf doch - wie es im
gegebenen Fall zu sein scheint - dieser staatliche Schutz nicht dazu
mißbraucht werden, Dienstboten zum Verbleiben bei solchen Bauern zu
zwingen, bei denen sie nicht so behandelt werden, wie dies der
nationalsozialistischen Forderung nach sozialer Gerechtigkeit
entspricht, da ja diese Bauern wegen unsozialen Verhaltens selbst zur
Rechenschaft gezogen werden müssen." Aufgrund der eingeholten
Informationen berichtete die örtliche Gendarmerie daraufhin,
lediglich die Ehefrau des Arbeitgebers sei „mit den weiblichen
Dienstboten etwas streng". „Von einer schlechten, der
Forderung nach sozialer Gerechtigkeit widersprechenden Behandlung des
Personals kann aber auch hier keine Rede sein." „Sonach
liegt", wie das Bezirksamt ergänzend an die Politische Polizei
weitergab, „ein Mißbrauch des staatlichen Schutzes ... nicht vor.
Die beiden Schmidhofer sind vielmehr dem Amte bereits aus anderen
Sachen genügend bekannt gewesen; ihnen hat die kurze Schutzhaft auch
nicht im geringsten geschadet."
Wenige
Wochen später wurde der geschiedene Ehemann der Maria Schmidhofer,
der landwirtschaftliche Arbeiter Josef Schmidhofer, vom Bezirksamt
ebenfalls in Schutzhaft genommen, da er „ohne Kündigung und
heimlich" seinen Arbeitsplatz bei dem Bauern Hartl in Thalhof
verlassen und sich bei dem Bauern Seethaler in Schmarnzell als
Erntearbeiter verdingt hatte. Bereits in den vorangegangenen zwei
Jahren sei er ,,ohne triftigen Grund vor Beginn der Ernte aus seinem
Jahresdienstplatz ausgetreten, um als Erntearbeiter höheren Lohn zu
erhalten". Als weitere Schutzhaftgründe wurden aufgeführt:
„Der zuständige politische Leiter stellt dem Schmidhofer ein sehr
ungünstiges Zeugnis aus. Schmidhofer ist
nahezu jeden Sonntag betrunken. Im Interesse der Aufrechterhaltung
der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit und, um die geordnete
Fortsetzung der Erzeugungsschlacht nicht zu gefährden, mußte gegen
Schmidhofer nach Anhörung der Kreisbauernschaft Schrobenhausen
Schutzhaft verhängt und Überstellung nach Dachau angeordnet
werden." Schmidhofer bestritt die ihm angelasteten
Beschuldigungen und machte geltend, sein neuer Arbeitgeber benötige
ihn dringend zu den Erntearbeiten: „Als er mich einstellte, habe
ich ihm gesagt, daß ich von Hartl weggegangen sei. Hartl und
Seethaler stehen nicht besonders gut miteinander." Einen Tag
nach seiner Festnahme wurde Schmidhofer auf Anordnung des Bezirksamts
ohne vorheriges Einvernehmen mit der Politischen Polizei ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Die Politische Polizei
wollte jedoch von einer Unterbringung im Konzentrationslager absehen
und setzte die Dauer der Schutzhaft auf drei Wochen fest, die
Schmidhofer aufgrund des voreiligen Vorgehens des Bezirksamts aber
dennoch in Dachau, und nicht im Amtsgerichtsgefängnis bzw. in der
Straf-Haftanstalt Aichach, verbüßen mußte. Als der Zeitpunkt
seiner Entlassung heranrückte, schrieb das Bezirksamt an die
Dachauer Lagerkommandantur: „Ich ersuche, ihn rechtzeitig zu
entlassen, wenn nicht von dort aus wegen Verlängerung der Schutzhaft
unmittelbar mit der Bayerischen Politischen Polizei, München,
verhandelt werden will. Von hier aus bestehen gegen eine angemessene
Verlängerung keine Bedenken." Die Politische Polizei ging auf
diesen Vorschlag des Bezirksamts aber nicht ein, sondern verfügte
die Entlassung mit der Auflage, daß sich Schmidhofer innerhalb von
zwei Tagen persönlich beim Bezirksamt Aichach zu melden hätte, wo
ihm nochmals eröffnet werden sollte, daß er sofort wieder in
Schutzhaft genommen werde, wenn er „seinen Dienstplatz
neuerdings ohne Kündigung verläßt oder sich sonst staatsabträglich
verhält oder betätigt". Die
Politische Polizei wollte auch die eigenmächtige Handlungsweise des
Bezirksamts nicht akzeptieren. In sehr dezidierter Form wurde die
Bezirksbehörde deshalb darauf hingewiesen, erst dann
Schutzhaftgefangene auf Schub zu setzen, wenn die Genehmigung für
die Einweisung in das Konzentrationslager Dachau vorliege. Wie in den
beiden vorausgegangenen Fällen zeigte die Politische Polizei auch im
Falle des Josef Schmidhoferein Interesse daran, die Bauern zur
Respektierung bestehender Arbeitsverträge zu zwingen. „Wenn es der
Tatsache entspricht", schrieb sie an das Bezirksamt, „daß der
Bauer Seethaler bei der Einstellung von dem Entlaufen des
Schmidhofer Kenntnis hatte, so ist... auch der Bauer Seethaler im
Benehmen mit dem Kreisbauernschaftsführer auf die Dauer von acht
Tagen in Schutzhaft zu nehmen."
Bemerkenswert
ist jedoch, daß auch die Politische Polizei hinsichtlich der
Schutzhaftdauer gegenüber Arbeitnehmern und Arbeitgebern zweierlei
Maß anlegte. Der Politischen Polizei fehlte aber ein genügend
großer personeller Unterbau, um eigene Untersuchungen anzustellen.
Sie war deshalb weitgehend auf die örtliche Gendarmerie angewiesen,
die im allgemeinen eher geneigt war, Beurteilungen im Sinne der
dörflichen
sozialen Führungsschicht abzugeben. Im Falle Schmidhoferjedenfalls
konnten laut Bericht der Gendarmerie-Station Schiltberg sämtliche
Bauern, bei denen er sich in den Jahren 1935/36 verdingt hatte,
glaubhaft machen, daß sie nicht gegen die Vertragsverhältnisse
verstoßen hatten.“
Aus:
Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 1977, Heft 4,
Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart
Falk
Wiesemann
Arbeitskonflikte
in der Landwirtschaft während der NS-Zeit in Bayern 1933-1938