Samstag, 15. Oktober 2016

Dienstboten in der Nazizeit

Geschichten aus dem Wittelsbacher Land


Heute mute ich euch wieder harten Tobak zu, es gibt viel zu lesen. Zahlreiche Knechte und Mägde in den bayrischen Dörfern waren mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden und suchten sich neue Bauern, bei denen sie sich verdingten oder gingen in die Stadt, wo sie auf ein besseres Leben und ein bessere Bezahlung hofften. Den Machthabern war dies ein Dorn im Auge, da sie dadurch Schwierigkeiten in der Lebensmittelversorgung befürchteten. Wie in ganz Bayern, so gingen sie auch im Wittelsbacher Land mit brachialen Mitteln dagegen vor, wie gegen die Schmiedhofers in Griesbeckerzell und Thalhof bei Hilgertshausen. Interessant dabei ist auch, dass die Politische Polizei weniger hart mit den Dienstboten umgehen wollte, als es die Verwaltung in Aichach letztendlich durchsetzte.

 
Bei der Anwendung der Schutzhaft gingen die unteren Behörden der Inneren Verwaltung und die Politische Polizei durchaus von verschiedenen Vorstellungen aus. In den anschließend ausführlicher geschilderten Fällen aus dem Bezirk Aichach benutzte, auf eine kurze Formel gebracht, das Bezirksamt die Schutzhaft als willkommenes Disziplinierungsmittel gegenüber unbotmäßigen und unbequemen Angehörigen der dörflichen sozialen Unterschicht, während die Politische Polizei sie als Instrument zur Durchsetzung des autoritär verordneten Arbeitsfriedens auch gegenüber bäuerlichen Arbeitgebern verstand.
 
Vom Vorstand des Aichacher Bezirksamts wurde am 2. April 1936 über die landwirtschaftliche Dienstmagd Maria Schmidhofer und deren Tochter Katharina, beide auf demselben Hof bedienstet, jeweils eine 15-tägige Schutzhaft verhängt. Die Maßnahme gegen die Tochter wurde folgendermaßen begründet: Katharina Schmidhofer hat ohne triftigen Grund eigenmächtig ihre Stelle bei dem Bauern und Gastwirt Reischel in Griesbäckerzell verlassen und hierbei durch Geschrei und Gejohle derartigen Lärm in der ganzen Ortschaft gemacht, daß ein Großteil der Ortseinwohner sich darüber aufgehalten hat. Außerdem versucht sie, sich der Unterhaltspflicht ihrem außerehelichen Kind gegenüber zu entziehen. Katharina Schmidhofer ist eine amtsbekannte Person; ihren zu Niederschrift gegebenen Aussagen kann ein Glaube nicht beigemessen werden."

Die Vorwürfe gegen die Mutter bezogen sich außer auf Vertragsbruch noch auf eine Äußerung, die sie anläßlich einer Rundfunkrede Hitlers gemacht haben soll: Der kann mich am Arsch lecken, der hat mir noch nichts gegeben!" Bei ihrer polizeilichen Einvernahme erklärte die Mutter: „Ich war bei Reischel in Griesbäckerzell als Schweizerin (Melkerin, Stallarbeit) eingestellt, wurde aber ständig auch für Feldarbeiten usw. verwendet. Dies war mir zu viel, und deswegen erklärte ich dem Reischel, daß ich die Stelle aufgeben werde. Nachdem er damit einverstanden war, habe ich durch Anzeige in der ,Aichacher Zeitung' eine andere Stelle zu finden gesucht. Ich bekam viele Angebote und ein Bauer telefonierte auch; Reischel war bei dem Telefongespräch selbst dabei. Es ist also nicht richtig, daß wir dort entlaufen sind, sondern Reischel hat dies genau gewußt." Außerdem sei sie bei einer Auseinandersetzung auf dem Hof mit Schlägen bedroht worden. Zu den weiteren Vorwürfen gab sie zu Protokoll: „Die fragliche Äußerung habe ich nicht gebraucht. Ich habe lediglich auf die Aufforderung hin, doch auch zuzuhören, etwa geäußert, was geht mich das an, was da der Hitler spricht, was ich gar nicht verstehe. Darauf verließ ich die Stube, in die wir ja sonst auch nicht gehen durften."

Die gleichfalls vorgeführte Tochter gab an: Ich habe die Stelle verlassen, weil ich mit dem Essen nicht zufrieden war. Es hat öfters nichts Warmes gegeben, und teilweise war das Essen bereits verdorben, das wir vorgestellt erhielten; außerdem wurde auf die Nacht das Essen immer wieder zusammengeschüttet und aufgewärmt. Ich sagte deshalb zu Reischel, daß ich in 14 Tagen gehen werde, wenn das Essen nicht besser würde, worauf dieser antwortete: Du kannst auch gleich gehen! Außerdem habe ich mich geärgert, daß Reischel mir nichts davon gesagt hat, daß ich für mein außereheliches Kind von meinem Lohn monatlich 7.- RM zu zahlen habe." Katharina Schmidhofer war bereits im November1934 vom Bezirksamt verpflichtet worden, für den Unterhalt ihres Kindes diesen Betrag an den Bezirksfürsorgeverband zu entrichten. Offensichtlich war für die Verhängung der Schutzhaft nicht allein der angenommene Vertragsbruch ausschlaggebend, sondern gleichfalls der Umstand, daß diese Personen, die in den Schutzhaftbefehlen als Asoziale" bezeichnet wurden, die kommunale Fürsorge belasteten. Der Schutzhaftbefehl gegen die Mutter Schmidhofer wurde von der Politischen Polizei umgehend bestätigt. Ein gegen sie vor dem Sondergericht München eingeleitetes Verfahren wurde aber von der Anklagebehörde aufgrund eines Amnestieerlasses eingestellt.Den Schutzhaftbefehl gegen die Tochter wollte die Politische Polizei nicht bestätigen, sondern empfahl die Einweisung in die Arbeitsabteilung der staatlichen Fürsorgeanstalt Traunstein mit dem generellen Hinweis, daß die Unterbringung in einer Arbeitsanstalt möglich sei, „wenn solche Personen infolge ihres sittlichen Verschuldens sich selbst oder einen Unterhaltsberechtigten der naheliegenden Gefahr aussetzen, der öffentlichen Fürsorge anheimzufallen". Zusätzlich verlangte die Politische Polizei, „hinsichtlich der Behandlung der Dienstboten durch den Bauern und Gastwirt Reischel in Griesbäckerzell im allgemeinen vertrauliche polizeiliche Erhebungen anzustellen und gegebenenfalls Zeugen einzuvernehmen. ... Wenn auch die Bauern im Interesse der Erzeugungsschlacht gegen das Davonlaufen der Dienstboten im allgemeinen staatlichen Schutz genießen, so darf doch - wie es im gegebenen Fall zu sein scheint - dieser staatliche Schutz nicht dazu mißbraucht werden, Dienstboten zum Verbleiben bei solchen Bauern zu zwingen, bei denen sie nicht so behandelt werden, wie dies der nationalsozialistischen Forderung nach sozialer Gerechtigkeit entspricht, da ja diese Bauern wegen unsozialen Verhaltens selbst zur Rechenschaft gezogen werden müssen." Aufgrund der eingeholten Informationen berichtete die örtliche Gendarmerie daraufhin, lediglich die Ehefrau des Arbeitgebers sei „mit den weiblichen Dienstboten etwas streng". „Von einer schlechten, der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit widersprechenden Behandlung des Personals kann aber auch hier keine Rede sein." „Sonach liegt", wie das Bezirksamt ergänzend an die Politische Polizei weitergab, „ein Mißbrauch des staatlichen Schutzes ... nicht vor. Die beiden Schmidhofer sind vielmehr dem Amte bereits aus anderen Sachen genügend bekannt gewesen; ihnen hat die kurze Schutzhaft auch nicht im geringsten geschadet."

Wenige Wochen später wurde der geschiedene Ehemann der Maria Schmidhofer, der landwirtschaftliche Arbeiter Josef Schmidhofer, vom Bezirksamt ebenfalls in Schutzhaft genommen, da er „ohne Kündigung und heimlich" seinen Arbeitsplatz bei dem Bauern Hartl in Thalhof verlassen und sich bei dem Bauern Seethaler in Schmarnzell als Erntearbeiter verdingt hatte. Bereits in den vorangegangenen zwei Jahren sei er ,,ohne triftigen Grund vor Beginn der Ernte aus seinem Jahresdienstplatz ausgetreten, um als Erntearbeiter höheren Lohn zu erhalten". Als weitere Schutzhaftgründe wurden aufgeführt: „Der zuständige politische Leiter stellt dem Schmidhofer ein sehr ungünstiges Zeugnis aus. Schmidhofer ist nahezu jeden Sonntag betrunken. Im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit und, um die geordnete Fortsetzung der Erzeugungsschlacht nicht zu gefährden, mußte gegen Schmidhofer nach Anhörung der Kreisbauernschaft Schrobenhausen Schutzhaft verhängt und Überstellung nach Dachau angeordnet werden." Schmidhofer bestritt die ihm angelasteten Beschuldigungen und machte geltend, sein neuer Arbeitgeber benötige ihn dringend zu den Erntearbeiten: „Als er mich einstellte, habe ich ihm gesagt, daß ich von Hartl weggegangen sei. Hartl und Seethaler stehen nicht besonders gut miteinander." Einen Tag nach seiner Festnahme wurde Schmidhofer auf Anordnung des Bezirksamts ohne vorheriges Einvernehmen mit der Politischen Polizei ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Die Politische Polizei wollte jedoch von einer Unterbringung im Konzentrationslager absehen und setzte die Dauer der Schutzhaft auf drei Wochen fest, die Schmidhofer aufgrund des voreiligen Vorgehens des Bezirksamts aber dennoch in Dachau, und nicht im Amtsgerichtsgefängnis bzw. in der Straf-Haftanstalt Aichach, verbüßen mußte. Als der Zeitpunkt seiner Entlassung heranrückte, schrieb das Bezirksamt an die Dachauer Lagerkommandantur: „Ich ersuche, ihn rechtzeitig zu entlassen, wenn nicht von dort aus wegen Verlängerung der Schutzhaft unmittelbar mit der Bayerischen Politischen Polizei, München, verhandelt werden will. Von hier aus bestehen gegen eine angemessene Verlängerung keine Bedenken." Die Politische Polizei ging auf diesen Vorschlag des Bezirksamts aber nicht ein, sondern verfügte die Entlassung mit der Auflage, daß sich Schmidhofer innerhalb von zwei Tagen persönlich beim Bezirksamt Aichach zu melden hätte, wo ihm nochmals eröffnet werden sollte, daß er sofort wieder in Schutzhaft genommen werde, wenn er „seinen Dienstplatz neuerdings ohne Kündigung verläßt oder sich sonst staatsabträglich verhält oder betätigt". Die Politische Polizei wollte auch die eigenmächtige Handlungsweise des Bezirksamts nicht akzeptieren. In sehr dezidierter Form wurde die Bezirksbehörde deshalb darauf hingewiesen, erst dann Schutzhaftgefangene auf Schub zu setzen, wenn die Genehmigung für die Einweisung in das Konzentrationslager Dachau vorliege. Wie in den beiden vorausgegangenen Fällen zeigte die Politische Polizei auch im Falle des Josef Schmidhoferein Interesse daran, die Bauern zur Respektierung bestehender Arbeitsverträge zu zwingen. „Wenn es der Tatsache entspricht", schrieb sie an das Bezirksamt, „daß der Bauer Seethaler bei der Einstellung von dem Entlaufen des Schmidhofer Kenntnis hatte, so ist... auch der Bauer Seethaler im Benehmen mit dem Kreisbauernschaftsführer auf die Dauer von acht Tagen in Schutzhaft zu nehmen."

Bemerkenswert ist jedoch, daß auch die Politische Polizei hinsichtlich der Schutzhaftdauer gegenüber Arbeitnehmern und Arbeitgebern zweierlei Maß anlegte. Der Politischen Polizei fehlte aber ein genügend großer personeller Unterbau, um eigene Untersuchungen anzustellen. Sie war deshalb weitgehend auf die örtliche Gendarmerie angewiesen, die im allgemeinen eher geneigt war, Beurteilungen im Sinne der
dörflichen sozialen Führungsschicht abzugeben. Im Falle Schmidhoferjedenfalls konnten laut Bericht der Gendarmerie-Station Schiltberg sämtliche Bauern, bei denen er sich in den Jahren 1935/36 verdingt hatte, glaubhaft machen, daß sie nicht gegen die Vertragsverhältnisse verstoßen hatten.“

Aus: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 1977, Heft 4, Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart

Falk Wiesemann

Arbeitskonflikte in der Landwirtschaft während der NS-Zeit in Bayern 1933-1938

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