Montag, 16. Mai 2016

Der Aichacher Kurier – Bayrische Landpost

In einem spannenden Beitrag von Klaus Schönhoven - in dem Buch „Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand, Band 5“ von Martin Broszat und Hartmut Mehringer, Oldenbourg Verlag, 1983 – beschreibt er, wie die katholische Heimatzeitung „Aichacher Kurier – Bayrische Landpost“ von 1933 bis 1935 gleich- bzw. ausgeschaltet wurde.

Der politische Katholizismus in Bayern unter der NS-Herrschaft 1933 – 1945

Der Anfang der zwanziger Jahre von einem Privatverleger mit Unterstützung der Bayrischen Volkspartei gegründete Aichacher Kurier besaß in dem agrarisch-kleinstädtisch geprägten Amtsbezirk, dessen Bevölkerung zu 97,5 Prozent katholisch war, bis 1933 eine fast monopolartige Stellung. Die Provinzzeitung konnte sich auf einen heimatgebundenen und konfessionsbewußten Leserkreis stützen, der fest in der politischen Tradition der BVP stand. Zwischen 1919 und 1933 erzielte die Volkspartei bei allen Wahlen im Bezirksamt Aichach die besten Stimmergebnisse in Oberbayern, das ohnedies eine ihrer Domänen war. Sie beherrschte die Gemeindeparlamente des Bezirks und besaß in den Dorfpfarrern und Bauernbürgermeistern, die „die Identität von sozialer Führung und wirtschaftlicher Potenz“ in dieser Region verkörperten, ihren stärksten Rückhalt. Selbst bei den Reichstagswahlen vom März 1933 blieb dieses Gebiet eine Hochburg der BVP, die hier – trotz empfindlicher Verluste von rund 15 Prozent – mit 54,3 Prozent der Stimmen die NSDAP, die sich auf 38,1 Prozent verbessert hatte, immer noch klar überflügelte.

Der Kampf des Nationalsozialismus gegen diese Bastion des politischen Katholizismus richtete sich natürlich auch gegen dessen publizistisches Forum, den Aichacher Kurier, der nach dem Machtwechsel in München – wie alle anderen BVP-Blätter – sich flexibel auf die neuen Verhältnisse einstellte und die „frühere offene Gehässigkeit“ durch moderate Töne vergessen zu machen suchte, dennoch aber das „begeisterte Eintreten“ für die NSDAP vermissen ließ. Trotz aller Beweise der Selbstzensur waren Konflikte mit den regionalen NS-Größen nicht zu vermeiden, deren eigenes Organ, die Aichacher Zeitung, die Auflagenhöhe des katholischen Blattes bei weitem nicht erreichte. Da man dem Kurier weder durch öffentliche Boykottaufrufe noch durch massive Hauswerbeaktionen seine Abonnenten abjagen konnte, verlagerten die NS-Instanzen ab 1934 ihren Vernichtungsfeldzug gegen die ungeliebte Konkurrenz auf die systematische Behinderung der Berichterstattung.

Ende April 1934 musste der Kurier für acht Tage sein Erscheinen einstellen, weil eine Artikelserie über Kirchenfragen das Mißfallen der Behörden erregt hatte, die in diesen Berichten den Beweis dafür sahen, daß sich die Zeitung „innerlich noch nicht gleichgeschaltet“ habe und nach wie vor die „größte Beunruhigung“ in die katholische Bevölkerung trage. Gleichzeitig diktierte man dem verantwortlichen Redakteur des Blattes eine einwöchige Schutzhaft zu.

„….Auf Grund der Verordnung vom 28.2.1933 und der hierzu erlassenen Bekanntmachung vom 4.3.1933 wurde im Benehmen mit dem Sonderbeauftragten beim Bezirksamt der Bayrischen Politischen Polizei unterm 27.4. verfügt, daß die Zeitung „Aichacher Kurier – Bayrische Landpost“ auf die Dauer von acht Tagen verboten wird..... Außerdem wird der Schriftleiter dieser Zeitung, Josef Lakas, ebenfalls mit Verfügung vom 27. April in Schutzhaft genommen, da ein weiter Kreis der Nationalsozialisten gegen Lakas so eingestellt ist, daß nach Auffassung des Sonderbeauftragten sowie des Ortsgruppenleiters dessen persönliche Sicherheit gegenwärtig nicht mehr gewährleistet ist....“

Als der Verlag des Kuriers wegen dieser Sperre den Bezugspreis des Blattes für den Monat Mai reduzierte und die Leserschaft durch Flugzettel aufforderte, der Zeitung die Treue zu halten, erließ der SA-Sonderkommissar für Aichach erneut ein achttägiges Verbot, das allerdings von den Münchner Behörden aufgehoben wurde.

Den nächsten Vorstoß gegen den Kurier unternahm Erich Gärtner, der NS-Bürgermeister von Aichach, der Ende Oktober 1934 dem Redakteur des Blattes den Zutritt zu den Stadtratssitzungen verweigerte, um damit das Heimatblatt von der lokalen Berichterstattung auszuschließen. Auf die Anfrage des Bezirksamtes, bei dem sich der Verleger des Kuriers wegen dieser existenzbedrohenden Arbeitseinschränkung beschwert hatte, rechtfertigte Gärtner den “in eigener Verantwortung“ vollzogenen Ausschluß mit folgendem Schreiben, das in Inhalt und Diktion ein bemerkenswerter Beleg für die Rechtsauffassung lokaler NS-Vertreter ist:

„Nachweisbar hat der Aichacher Kurier selbst nach der Machtergreifung der Regierungsgewalt durch Adolf Hitler ständig bis zur heutigen Stunde gegen die Belange des Nationalsozialismus in Wort und Schrift offen und versteckt Stellung genommen. Ich habe daher bei jeder Gelegenheit davon Gebrauch gemacht, die verantwortlichen Leiter dieses Blattes auf ihre politische Einstellung zu prüfen. Wenn die Schriftleitung des Aichach. Kuriers es sich versagt, auf ihre verneinende Einstellung zum heutigen Staat einzugehen, so wird sie wissen warum! Ich erkläre hier offen, daß der Leiter dieser Zeitung bis hinunter zu seinen Mitarbeitern, ja bis zur Köchin, in meinen Augen und den Augen jedes anständigen Deutschen Volksverräter sind, und ich weigere mich, einen Volksverräter bei den Beratungen zuzulassen.... Wozu hat man denn in den Städten des Reiches alte bewußte Kämpfer der NSDAP mit der Führung betraut? Doch um dem Willen und Empfinden des Volkes Geltung zu verschaffen, den sittlichen Forderungen des Nat. Socialismus gerecht zu werden, und nicht einer sturen Befolgung einer parlamentarischen Gemeindeordnung zu dienen, sonst hätte man ruhig die Vertreter der Reaktion in ihren Ämtern belassen können. Als alter Nationalsozialist, als Gründungsmitglied der Bewegung aus dem Jahre 1919/20, als „Sternecker“ bin ich erst Kämpfer für die Weltanschauung Adolf Hitlers, in zweiter Linie Vollzieher der Verwaltungsbestimmungen.“

Das Bezirksamt schloß sich dieser rüden Argumentation des Regimevertreters nicht an und betonte in seinem Antwortschreiben, mit dem es den rechtswidrigen Ausschluß des Kuriers auss den Stadtratssitzungen aufhob, daß „auch der heutige Staat Rechtsstaat“ sei und daß deshalb die Grundsätze einer gesetzmäßigen Verwaltung angewendet werden müßten. Mit dieser Entscheidung der noch an traditionellen Normen orientierten Behörden war aber weder der Bürgermeister von Aichach noch der dortige Kreisleiter der NSDAP einverstanden, der die verlegerische Tätigkeit des Kuriers als „absolut verheerend“ charakterisierte und keinen Zweifel daran aufkommen ließ, daß man die katholische Zeitung zur Kapitulation zwingen wollte. Die logische Konsequenz aus dieser Haltung war, daß die Kreisleitung ihre Werbeaktion für die eigene Zeitung noch verstärkte und den Kurier bereits Ende April 1935 mit einem neuen Verbotsantrag bedachte. In diesem Fall begnügte sich die Bayerische Politische Polizei mit einer ernstlichen Verwarnung des Chefredakteurs und der Drohung, „daß bei der geringsten neuerlichen staatsabträglichen Schreibweise mit den schärfsten polizeilichen Mitteln vorgegangen wird.“

Im Sommer 1935 erreichte der Kampf gegen den Kurier schließlich seinen Höhepunkt und sein Ende. Nachdem Vertretern der Zeitung im Juni und Juli mehrmals der Zutritt zu regionalen Veranstaltungen von dort anwesenden Nationalsozialisten verwehrt worden war, löste im August ein Artikel über einen antisemitischen Vorfall – bei einer Zwangsversteigerung hatte ein jüdischer Gläubiger seine Forderungen nicht geltend machen können – den von der NSDAP gesteuerten „Unwillen“ der Bevölkerung gegen die Zeitung aus. Eine Demonstration vor dem Verlagsgebäude gab den willkommenen Anlaß, den Verleger und die beiden Redakteure des Blattes „zu ihrem persönlichen Schutz in Haft zu nehmen“ und das Erscheinen der Zeitung zu verbieten.

Nach drei Tagen entließ man die Inhaftierten wieder, da keine „Gefahr für ihre persönliche Sicherheit“ mehr bestand und weil die Verhandlungen zwischen dem demoralisierten Verleger des Kuriers und der NS-Kreisleitung über den Verkauf der Verlagsrechte „zu einem erfolgreichen Abschluß gelangt waren“: Der Verleger hatte während der Haftzeit in die Liquidation des Aichacher Kuriers eingewilligt; die Zeitung stellte am 31. August 1935 ihr Erscheinen ein.

In der Festschrift „150 Jahre Mayer & Söhne – Aichacher Zeitung“ werden diese Ereignisse allerdings anders dargestellt, man sei dazu gezwungen worden einen überzeigten Nationalsozialisten und Mitglied der SS als Chefredakteur einzustellen.

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